19.01.2022

DELOKALISIERTE ATOME MESSEN QUANTENEIGENSCHAFTEN DER GRAVITATION

Quantenphysiker/innen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien und der Stanford University in Kalifornien publizieren in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Science den Beweis, dass makroskopische Quantensysteme sich in Gravitationsfeldern anders verhalten als ihre klassischen Geschwister. Das ist ein neuer Wegweiser für Forscher/innen auf der Suche zu einer möglichen Quantentheorie der Gravitation.

Ein Atom im Überlagerungszustand, das sich nah an einem Wolframring befindet. © Peter Asenbaum/ÖAW

Die Gravitation ist unter den vier Grundkräften der Physik ein Ausreißer, weil sie den Regeln der Relativitätstheorie gehorcht und bisher nicht als Quantenfeldtheorie formuliert werden kann. “Wie eine Quantentheorie der Gravitation auszusehen hat, ist derzeit noch unklar”, sagt Peter Asenbaum vom Wiener Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Das könnte sich aber bald ändern: Fortschritte in der Quantenphysik machen es seit kurzem möglich, Quantensysteme unter dem Einfluss von Gravitationsfeldern zu untersuchen. Asenbaum und seine Kolleg/innen in den USA haben nun mit einem neuen Experiment einen wichtigen Schritt in Richtung einer Quantentheorie der Gravitation gemacht, wie sie aktuell in Science berichten.

UNSCHARFE ATOME

Die Wissenschaftler/innen haben dazu im Labor einen Versuch aufgebaut, bei dem ein großes Quantensystem in die Nähe eines massiven Objekts aus Wolfram gebracht wird. Das System besteht dabei aus einem einzelnen Atom, das sich in einem Überlagerungszustand von zwei Aufenthaltsorten befindet. In der Quantenwelt sind Positionen nie genau bestimmt, die Wahrscheinlichkeiten, dass sich ein Atom an einem bestimmten Punkt befindet, lassen sich aber aus der Schrödinger-Gleichung ableiten, die eine Welle beschreibt. Mithilfe von gezielten Laserpulsen lässt sich diese Wellenfunktion in zwei Teile zerteilen und strecken, wodurch der Abstand zwischen den möglichen Aufenthaltsorten des Atoms wächst.

Für die aktuelle Publikation haben die Physiker/innen den Abstand zwischen den zwei möglichen Positionen des Atoms auf 25 Zentimeter ausgedehnt. Dieses „unscharfe“ Atom haben sie dann im Experiment an einem Stück Wolfram vorbeifliegen lassen, dessen Masse etwa ein Kilogramm schwer ist. Durch die große Ausdehnung dieses Quantensystems “spürt” das Atom die Masse des Wolframs nur an einer der zwei Positionen.

GRAVITATION GEHORCHT QUANTENREGELN

Mit dem Experiment konnten die Forschenden von der ÖAW und der Stanford University zeigen, dass die Quanteneigenschaften und die Gravitation sich im untersuchten Bereich nicht in die Quere kommen. “Wir haben gezeigt, dass die Gravitationsinteraktion großer Quantensysteme klassisch nicht erklärbar ist”, sagt Asenbaum. Im Experiment kann die Gravitationsbeschleunigung mit einem klassischen Teilchen bestimmt werden. Wird stattdessen aber das unscharfe Quantenatom ins Experiment eingebracht, ist das nicht mehr möglich.

“Im Quantensystem können wir nur die Gravitationsenergie zwischen Atom und Wolframmasse messen, die Gravitationsbeschleunigung bleibt verborgen. Durch wiederholtes Manipulieren des Atoms mit Laserpulsen entsteht ein Interferogramm, aus welchem der Phasenunterschied der zwei Teile der Wellenfunkton bestimmt wird”, sagt Asenbaum. Der Unterschied wirkt subtil, ist aber elementar.

“Der Phasenschub durch die Gravitationsenergie hängt von der Masse des Atoms und dem Planckschen Wirkungsquantum ab und kann nie null oder positiv sein. Das ist bei der Beschleunigung anders. Dass wir die Beschleunigung mit dem Quantensystem nicht messen können, zeigt, dass die Regeln der Quantenmechanik auch für Gravitation halten”, sagt Asenbaum.

In einem nächsten Schritt will das Forschungsteam ein Experiment realisieren, in dem beide Akteure der Gravitationswechselwirkung sich in einem großen Quantensystem befinden. Wenn das gelingt, wäre unumstößlich, dass auch die Gravitation sich wie ein Quantenfeld verhält. “Das wäre eine qualitative Bestätigung, dass die Gravitation sich in die Quantenwelt integrieren lässt. Wie eine Quantentheorie der Gravitation aussehen muss, wissen wir deshalb aber noch nicht”, sagt Asenbaum

 

AUF EINEN BLICK

Publikation:

„Observation of a gravitational Aharonov-Bohm effect“, Chris Overstreet, Peter Asenbaum, Joseph Curti, Minjeong Kim, Mark A. Kasevich, Science, 2021
DOI: 10.1126/science.abl7152

 

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